Keith Richards: Der Gitarrist der Rolling Stones wird achtzig (2024)

Der Rhythmusgitarrist stand meist im Schatten von Mick Jagger. Dabei hat Keith Richards den rauen Sound der Rolling Stones geprägt wie niemand sonst.

Ueli Bernays

6 min

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Keith Richards: Der Gitarrist der Rolling Stones wird achtzig (1)

Zuletzt zeigten sich die Rolling Stones gemeinsam auf einer Bühne, als sie in einem Londoner Theater das neue Album «Hackney Diamonds» ankündigten. Mick Jagger setzte sich in die Mitte, Ron Wood und Keith Richards nahmen links und rechts von ihm Platz. Der Sänger zog mit aristokratisch anmutendem Charme und funkelnder Geistesgegenwart gleich die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Dabei redete er bereitwillig und jovial auch für Keith Richards: Keith und ich haben dies getan, Keith und ich haben das und das gemacht.

Warum ergriff Keith Richards, der sich neben dem Strahlemann wie dessen schüchterner Bruder ausnahm, selber nicht häufiger das Wort? Eine Sonnenbrille im Gesicht, ein Hut auf dem krausen Haar, fügte er dem vom amerikanischen TV-Moderator Jimmy Fallon geleiteten Talk bloss spärliche Ergänzungen bei. Man glaubte ihn ermuntern und anfeuern zu müssen: Misch dich ein, Keith! Fahr dem Gockel mal in die Parade und über sein immenses Maul!

Das Image der Idole

In den Urzeiten des Rock’n’Rolls geriet man leicht in Glaubenskämpfe. Wer Fan eines Stils oder einer Band war, machte sich damit gleichzeitig als Feind eines anderen Stils, einer anderen Band verdächtig. Die Country-Blues-Nerds stritten mit den Chicago-Blues-Spezialisten. Bob Dylan sorgte allein dadurch für ein Schisma in seiner Glaubensgemeinschaft, dass er sich bald auf einer akustischen, bald auf einer elektrischen Gitarre begleitete.

Zum Kulturkampf stilisiert wurde auch die Konkurrenz zwischen den Beatles und den Rolling Stones. Aber wer sich den frecheren, rebellischeren Stones anschloss, hatte seine ästhetische Identität und Position damit noch nicht gefestigt. Welcher Stone empfahl sich als eigentliches Idol? Die Charaktere und Talente der britischen Blues-Rock-Band waren so verschieden, dass sie unterschiedliche Ideale und Lebensweisen zu verkörpern schienen. Überdies sorgte die rasche Karriere der Band für eine erstaunliche Gruppendynamik.

Der Pianist Ian Stewart zum Beispiel, der als musikalischer Experte zunächst den Respekt seiner Peers genoss, musste früh aus dem Line-up verschwinden – der Stones-Manager Andrew Loog Oldham fand ihn zu harmlos im Aussehen. Eine Weile galt dann der Leadgitarrist Brian Jones als Primus, weil er vom Leben und von den Frauen ebenso viel verstand wie von seinem Instrument. Seinerseits geriet er ins Abseits, als die Freunde Keith Richards und Mick Jagger Mitte der 1960er Jahre das Bandrepertoire mit ihren eigenen Songs gestalteten.

Keith Richards: Der Gitarrist der Rolling Stones wird achtzig (2)

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Die sogenannten Glimmer Twins bestimmten fortan die Geschicke der Formation. Aber kann es zwei Leader geben in einer Band? Wie delikat diese Konstellation ist, bewiesen die Beatles, als die Spannungen zwischen Paul McCartney und John Lennon 1970 mit zur Auflösung der Band führten. Jagger und Richards haben als Zweiergespann zwar länger harmoniert. Es dauerte noch Jahrzehnte, bis ihre gegenseitigen Ressentiments sich zu bitteren Streitigkeiten auswuchsen, die die Existenz der Band bedrohten.

Dennoch hatte sich ihre Fangemeinde schon zuvor in ein Team Mick und ein Team Keith geteilt. Der Sänger hatte sich rasch als smarter Rebell mit viszeralen Energien und unwiderstehlichem Sex-Appeal profiliert. Weit über die Grenzen des eingefleischten Stones-Publiku*ms und bis in die Gegenwart galt Mick Jagger als exemplarischer Rock- und Pop-Star.

Umso schwieriger erwies sich die Situation für Keith Richards. Wie konnte er bestehen neben dem schlagfertigen Frontmann? Angesichts dieser Ausgangslage ist das vordringliche Gefühl, das man dem Stones-Gitarristen gegenüber stets empfindet, weniger Bewunderung als solidarische Empathie – manchmal fast etwas Mitleid.

Gerade in der Position der Schwäche allerdings bewährt sich Keith Richards als Identifikationsfigur: Weniger glamourös und abgehoben als Mick Jagger, hat er den Erfolg der Band stets glaubhaft auf seine Leidenschaft für die Musik zurückgeführt. Er führt nicht das Wort, aber er gibt den Ton an. Und sichert sich so die Sympathie all jener Fans, die in ähnlichen Konstellationen selbst vermeintlich eine Nebenrolle spielen, tapfer und geduldig.

Das gilt zunächst für die Heerscharen von Rockmusikern, die ihre Leidenschaft nicht an einem Mikrofon ausleben, sondern an einem Saiten-, Tasten- oder Schlaginstrument. Für die Instrumentalisten-Szene wurde Keith Richards sozusagen zum Schutzheiligen. Manch ein Gitarrist, der im Schatten eines auftrumpfenden Frontmanns steht, meint sich auch selbst, wenn er die Licks und Riffs preist, die Richards auf seiner Fender Telecaster generierte. Obwohl er nie die Virtuosität eines Jimi Hendrix oder Eric Clapton erreichte, gilt er bis heute als einer der prägenden Rockgitarristen.

Keith Richards: Der Gitarrist der Rolling Stones wird achtzig (4)

Tatsächlich haben die Rolling Stones auf seine Passion zählen können. Seiner Expertise in Sachen Blues und Rock’n’Roll verdankte die Band ihre klangliche Substanz, den rauen und hitzigen Stones-Sound. Dabei machte Keith Richards nie ein Hehl daraus, dass sein Geschmack durch afroamerikanische Idole geformt wurde, durch stilbildende Sänger und Gitarristen des Blues und des Rhythm’n’Blues.

Die Demütigung

Seine Dankbarkeit den Vorbildern gegenüber zeigte sich 1986 beispielhaft, als er bei einer konzertanten Feier zum 60.Geburtstag von Chuck Berry mitspielte. Vom Rock’n’Roll-Pionier Chuck Berry habe er alle seine Gitarrentricks geklaut, beliebte er zu witzeln. Der amerikanische Sänger und Gitarrist allerdings nutzte das Tribut-Konzert, um seinem bleichen britischen Fan eine demütigende Lektion zu erteilen.

Bei den Proben hat er Richards mehrmals unterbrochen, belehrt, gemassregelt – was später im Konzertfilm «Hail Hail Rock’n’Roll» (1987) publik wurde. Offenbar wollte Chuck Berry klarstellen, wer den Rock’n’Roll erfunden hat – die afroamerikanischen Bluesmusiker und insbesondere einer: Chuck Berry. «Es fällt mir extrem schwer, mich klaglos schikanieren zu lassen», kommentierte Richards das Rencontre mit seinem Idol. Aber er sei es sich ja gewohnt, mit «Drecksäcken» zusammenzuarbeiten.

Befreundete Feinde

Die ironisch übertriebene Verbalattacke galt freilich Mick Jagger, über den er sich mit den Jahren immer öfter ärgerte. Bis in die siebziger Jahre seien sie echte Freunde gewesen, Mick Jagger und er, schreibt Keith Richards in seiner Autobiografie «Life» (2014) – 700 Seiten schwer, wirkt sie wie ein Pflasterstein, den der Autor dem Sänger vor den Kopf stossen wollte. In den siebziger Jahren habe sich die Beziehung abgekühlt.

Während Mick Jagger damals ins Jetset hochstieg, sei er selbst abgetaucht ins «Drogenland». Denn bei dem Versuch, existenzielle und geistige Grenzen auszutesten, habe er irgendwann die Kontrolle verloren. Die regelmässigen Abstürze sowie die wiederkehrenden Auseinandersetzungen mit Polizei und Justiz schienen in der Öffentlichkeit das Outlaw-Programm der Band quasi zu beglaubigen. Damals festigte sich aber auch das persönliche Image eines drahtigen, leicht ungelenken Pinocchios, der sein Haar und seine grossen Ohren stets hinter einem bunten Tuch verbirgt und treuherzig, aber auch leicht verunsichert aus seinen von Kajal umflorten Augen guckt.

Man mochte seine stilisierte Junkie-Erscheinung später für eine Manier halten. Tatsächlich fühlt sich offenbar Keith Richards selbst damit nicht ganz wohl. Es sei der Druck der Öffentlichkeit, der einem Klischees wie eine «Sträflingskette» aufdränge. Es sei deshalb auf die Dauer nicht zu vermeiden, «als Parodie desjenigen zu enden, für den man sich selbst gehalten hat».

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In Keith Richards’ Junkie-Jahren hat Mick Jagger das Heft bei den Rolling Stones umso fester in die Hand genommen. Als der Gitarrist in den achtziger Jahren einen Weg aus der Sucht fand, um sich wieder vermehrt der Musik und den Stones zu widmen, wurde das zum Problem. Die Glimmer Twins gerieten erst aneinander, dann auseinander.

Richards warf Jagger sein «lead vocalist syndrome» vor – die «pathologische Unfähigkeit», seine Entscheidungen vorher mit andern zu besprechen. Aber auch stilistisch gingen ihre Vorstellungen auseinander. Mick Jagger wollte das Repertoire durch Einflüsse aus Disco und New Wave auffrischen. Keith Richards beharrte auf Rock-Purismus.

Gemeinsam stark

Die Streithähne verabschiedeten sich schliesslich in Soloprojekte, die Auflösung der Rolling Stones schien eine Frage der Zeit. Dass es nicht so weit kam, ist auf ihr Scheitern zurückzuführen. Weder Jaggers Soloalbum «Primitive Cool» (1987) noch Richards’ «Talk Is Cheap» (1988) war ein Zuspruch in den Dimensionen der Rolling Stones beschieden. Ohne grosse Begeisterung haben sich die Antagonisten deshalb wieder zusammengerauft. Die Studioarbeit für neue Alben wie «Bridges to Babylon» (1997) führte abermals zu Streitereien. Aber Mick Jagger und Keith Richards mussten einsehen, dass sie aufeinander angewiesen waren, um sich in der Musikszene zu behaupten.

Die kommenden Jahrzehnte waren geprägt von gigantischen Welttourneen der Rolling Stones. Bis in die Gegenwart haben die Musiker Präsenz, Musikalität und Spielfreude bewiesen auf ihren Konzerten. Auf der Bühne aber gibt es nur einen Leader.

Der Gitarrist scheint sich damit abgefunden zu haben. Er spielt weiterhin seine rockigen Riffs, seine zündenden Licks. Und ein, zwei Mal pro Auftritt darf er auch ein Lied intonieren. Man muss sich Keith Richards, der am 18.Dezember achtzig Jahre alt wird, als glücklichen Menschen vorstellen. Wir feiern ihn zwar nicht als einen King der Rockmusik, aber als ihren besten Freund.

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